Allein das Wort kann schon ein Unbehagen auslösen. Es ist ein urmenschliches Gefühl, tief in uns verankert. Evolutionär betrachtet hat es uns vor Gefahren geschützt, uns blitzschnell reagieren oder uns sicherheitshalber zurückziehen lassen. Doch in unserer modernen Welt, die oft von medialen Krisen und ständiger Reizüberflutung geprägt ist, reagiert unser Nervensystem anders als vorgesehen. Es unterscheidet nicht zwischen einer tatsächlichen Bedrohung und einer im Fernsehen oder einem Gedanken, der nur in unserem Kopf existiert.
Angst ist keine Diagnose und auch kein Feind
Es ist wichtig zu verstehen: Angst ist primär ein körperlicher Zustand, es ist ein wichtiges Tool, um uns vor Gefahr zu schützen.
Anstatt von „Angst“ zu sprechen, kann es hilfreich sein, es als das aktiviertes Nervensystem (akt. NS) zu sehen. Dieser Perspektivwechsel kann bereits eine erste Distanz schaffen. Interessanterweise verstärkt der Versuch, Gedanken, die mit diesem aktivierten Nervensystem einhergehen, zu unterdrücken, diese Gedanken oft noch. Ein Teufelskreis entsteht.
Die Lösung ist also nicht in erster Linie, über Angst zu reden, sondern darum, den Körper wieder in einen ruhigeren Zustand zu bringen.
Was bewirkt Angst
Allgemeine Wirkung
- Konzentration leidet: Angst beansprucht kognitive Ressourcen, was das Denken, Planen und Entscheiden erschwert.
- Tunnelblick: Man fokussiert sich auf mögliche Gefahren oder Worst-Case-Szenarien – Chancen und kreative Lösungen geraten aus dem Blick.
- Stressreaktion: Körperlich wird Cortisol ausgeschüttet – kurzfristig aktivierend, langfristig jedoch schädlich.
- Vermeidungsverhalten: Angst führt oft dazu, dass man unangenehme Situationen meidet, statt sie aktiv anzugehen.
Im Geschäftsalltag
- Veränderung beim Entscheidungsprozess:
- Aus Angst, Fehler zu machen oder kritisiert zu werden, werden Entscheidungen vertagt oder ganz vermieden.
- Führung befasst sich eher mit Schadensbegrenzung als mit Orientierung.
- Entscheidungen orientieren sich stärker an Konsens als an Klarheit um nicht anzuecken oder zu überfordern
- Schlechte Entscheidungen: Entscheidungen der Leiter werden vorschnell getroffen. Nicht aus Klarheit, sondern zur Unsicherheitsvermeidung, oder aus Angst, Autorität zu verlieren.
- Leistungsabfall: Angst hemmt die Kreativität und Produktivität, insbesondere bei hoher Erwartungshaltung oder toxischer Unternehmenskultur.
- Schlechtes Teamklima: Angst vor Chefs oder Kollegen kann zu Misstrauen, Konkurrenzdenken und Kommunikationsstörungen führen.
- Schlechte Ergebnisse: Mitarbeitende orientieren sich an Befehlen, nicht an Sinnhaftigkeit.
- Fehlende Innovation: Angst vor Veränderung verhindert oft neue Ideen oder Prozesse.
Im privaten Umfeld
- Rückzug: Menschen ziehen sich zurück, vermeiden Gespräche oder Konflikte, die eigentlich geklärt werden müssten.
- Übermäßige Anpassung: Manche passen sich stark an die Wünsche der Anderen an und verlieren sich selbst dadurch aus dem Blick.
- Spannungen in Beziehungen: Unausgesprochene Ängste können zu Missverständnissen, Vorwürfen oder emotionaler Distanz führen.
- Selbstzweifel & Isolation: Angst kann das Selbstwertgefühl untergraben, was in Isolation, Hilflosigkeit oder sogar Depression münden kann.
- Bedürfnis nach starker Sicherheit: Das kann auf Kosten von Selbstbestimmung oder Lust gehen.
- Überkontrolle: Besonders bei Eltern oder Partnern kann Angst zu einem Kontrollverhalten führen, das Beziehungen belastet und die Personen überfordert.
- Über-Aktivität: Konflikte werden über Aktivität reguliert. Anstatt zu besprechen und zu klären wird ziellos organisiert und gehandelt.
- Übertragung auf Kinder: Kinder spüren, was gesagt werden darf. Sie passen sich an, weil sie abhängig sind von emotionaler Sicherheit.
Angst bewirkt natürlich auch Positives:
- Frühwarnsystem: In moderater Form kann Angst wachsam machen und vor echten Risiken schützen (z. B. vor unüberlegten Investitionen im Business oder Privat).
- Motivator: Manche Menschen nutzen Angst als Antrieb, um besser vorbereitet oder strukturierter zu arbeiten – der berühmte „positive Stress“.
- Fürsorge: Angst um geliebte Menschen kann Fürsorge fördern – solange sie nicht übergriffig oder erdrückend wird.
- Selbstreflexion: Wer sich seinen Ängsten stellt, kann daran wachsen, resilienter und empathischer werden.
Umgang mit Angst
Was können wir tun, um einen gesünderen Umgang mit Angst zu finden?
Hier sind ein paar Ideen:
Expressive Writing
Eine einfache, aber wirkungsvolle Methode, um sich von belastenden Gedanken zu distanzieren.
Schreibe ängstigende Gedanken auf und zerreiße den Zettel anschließend wieder.
Hilft auch gut bei körperlichen Problemen, Konflikten mit Menschen etc.
Summen
Die Vibrationen beim Summen können eine beruhigende Wirkung auf das Nervensystem haben.
Sport und Schlaf
Regelmäßige Bewegung und ausreichend Schlaf sind essenziell für ein ausgeglichenes Nervensystem und können chronische Schmerzen reduzieren.
Anti-entzündliche Ernährung
Eine ausgewogene Ernährung kann sich positiv auf dein körperliches und somit auch dein psychisches Wohlbefinden auswirken.
Informationen filtern
Reduziere das Scrollen durch endlose Nachrichtenfeeds. Konsumiere Informationen bewusster, vielleicht öfter in Textform statt als Videos.
Muster erkennen
Reflektiere, welche deiner Ängste wirklich in die heutige Situation gehören und welche möglicherweise alte „Programme“ aus der Kindheit sind. Suche dir dann ein neues Statement dazu aus.
Verbindung suchen
Angst isoliert. Suche den Austausch mit anderen. Angst braucht ein Gegenüber, nicht Isolation.
Atemtechniken
Angst versetzt den Körper in Alarmbereitschaft. Die Atmung wird flach – du kannst gegensteuern. Bewusste Atemarbeit kann das Nervensystem beruhigen und dir helfen, im gegenwärtigen Moment anzukommen.
Zum Beispiel die 4-7-8-Atemtechnik: 4 Sekunden einatmen, 7 Sekunden halten, 8 Sekunden ausatmen.
Gedanken stoppen
Angst ist oft ein Karussell aus Worst-Case-Gedanken. Sag innerlich laut:
„Stopp!“ – und lenke dich kurzzeitig ab/um (kaltes Wasser, Zählen, bewusstes Körpergefühl).
Realitätscheck machen
Stelle dir folgende Fragen:
- Was ist das konkret Schlimmste, das passieren kann?
- Wie wahrscheinlich ist das wirklich?
- Was habe ich für Ressourcen oder Erfahrungen, um damit umzugehen?
Diese Technik nennt sich auch kognitive Umstrukturierung – sie hilft, Gedanken zu hinterfragen statt ihnen blind zu glauben.
Exposition: Der Angst begegnen – in kleinen Schritten
Vermeidung macht Angst langfristig größer. Stell dich dem, was du fürchtest – aber dosiert:
- Mini-Schritte planen: z. B. bei Redeangst erst mit vertrauten Menschen sprechen, dann in kleinen Gruppen.
- Erfolgstagebuch führen: Schreib auf, was du geschafft hast – so entsteht ein Gefühl von Kontrolle und Selbstwirksamkeit.
Tagebuch / Gedankenjournal
- Halte fest, wann, wie, warum die Angst auftritt.
- So erkennst du Muster – und merkst, dass sie oft irrational oder übertrieben ist
Gedanken-Zeit einführen
Wenn die Angst kommt, sag ihr, dass Du dich später mit ihr beschäftigen wirst.
Benenne eine konkrete Zeit („Nach dem Abendessen“) und halte dich daran.
Achtsamkeit & Meditation
- Lenke deine Aufmerksamkeit auf das, was du im Moment beeinflussen kannst. Wo bist Du selbst wirksam?
- Achtsamkeit bedeutet: sich bewusst auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren, ohne zu werten.
- Meditation hilft, aus dem Gedankenstrudel auszusteigen.
Haltung gegenüber der Angst
Angst anerkennen statt wegdrücken
„Ich spüre Angst – und das ist okay. Sie ist da, um mich zu schützen. Aber sie bestimmt nicht mein Handeln.“
Angst zu verdrängen macht sie oft stärker. Wenn du sie benennst, verliert sie an Macht.
Fehlerfreundlichkeit entwickeln
Viele Ängste wurzeln in der Angst zu scheitern, abgelehnt zu werden oder zu versagen.
- Arbeite an deinem inneren Kritiker.
- Frage dich: „Was würde ich meiner besten Freundin raten?“ – Gegenüber anderen sind wir oft viel mitfühlender als mit uns selbst.
Werte statt Ängste folgen
Was ist dir wirklich wichtig im Leben? Wenn du dich an deinen Werten orientierst, triffst du Entscheidungen trotz Angst – nicht wegen ihr.
Wann professionelle Hilfe sinnvoll ist:
Wenn Angst das Leben stark einschränkt (Panikattacken, ständige Sorgen, Schlafstörungen), lohnt sich der Weg zu:
- Psychotherapie (z. B. Verhaltenstherapie)
- Coaching oder Beratung (wenn es eher um Lebens- oder Berufsangst geht)
- Hausarzt – zur Abklärung körperlicher Ursachen
Quellen: Calvin Bartel LinkedIn, Dr. David Hanscom